Aus meinen Sudelbüchern
Beobachtungen, Betrachtungen, Einfälle, wie sie gerade anfallen.
08.10.2025
Vorzeitig, rechtzeitig und schließlich zu spät
Am 6. Oktober 2025 titelte die Sächsische Zeitung: „Mehr junge Sachsen brechen ihre Ausbildung vorzeitig ab“
Da ist zunächst einmal der unklare Komparativ „Mehr“.
Mehr als was, kann man sich fragen: Mehr als sie beenden? Absolut? In Prozent? Mehr als jene, die gleich gar keine Ausbildung angefangen haben? Mehr als alte Sachsen? Mehr als junge Bayern? Vermutlich soll verstanden werden: Mehr als in einem Vergleichszeitraum. So hat sich das nämlich eingebürgert und schließlich ist eine Sprache keine unveränderliche normative Setzung, sie entsteht und ändert sich im Gebrauch, und der ist selten logisch. Sei ´s drum; bei der Sächsischen schreibt man eben, wie man spricht.
Ärgerlicher ist, dass die jungen Sachsen „vorzeitig abbrechen“. Nicht nur wegen dem Gemeinten, sondern auch sprachlich. Offenbar meint man bei der Zeitung, wenn die jungen Leute schon abbrechen, dann sollten sie es wenigstens rechtzeitig tun. Was aber, wenn es dann schon zu spät ist?
Liebe Schreiberlinge: Abbrechen heißt so viel wie vorzeitig beenden, also bevor das Ziel erreicht ist. Und gibt es auch einen rechtzeitigen Abbruch oder einen verspäteten Abbruch? Ja, doch, sobald man nämlich ein zweites Kriterium hinzuzieht.
Eine Schwangerschaft z.B. kann man rechtzeitig (vor der 13. Woche und erlaubt) oder verspätet (ab der 13. Woche und strafbar) abbrechen. In diesem Fall bezieht sich die Angabe der Zeitigkeit auf eine rechtliche Zäsur in der Schwangerschaft. Um auf das „vorzeitig“ zurück zu kommen: Wann wäre dann eine Schwangerschaft vorzeitig abzubrechen? Bevor sie überhaupt begonnen hat, d.h. vor der Empfängnis?
Ein Druckfehler? Ein Ausrutscher? Nein, es handelt sich um die mediale Marotte, Dramatik in den Teaser zu bringen und dazu simple Aussagen aufzupimpen, pardon: zu emotionalisieren. Also rührt man „vorzeitig beenden“ und „abbrechen“ zusammen, doppelt hält ja bekanntlich besser. Allein: es wird Brei.
Damit bin ich am Ende angelangt, vielleicht an einem zeitweiligen oder vorläufigen, keinesfalls jedoch am vorzeitigen.
Admin - 10:19:01 | Kommentar hinzufügen